Abrakadabra

16 Dezember 2010 Text: Matthias Häger
Foto: *~Dawn~* / flickr.com

Sportler sind von Natur aus abergläubisch. Aber unter allen Sportlern nehmen die Eishockeyspieler nochmal eine besondere Stellung ein, denn die dort zu beobachten Auswüchse sprengen jede Dimension. STARTING6 hat ein paar Kuriositäten und die Geschichten dahinter zusammengetragen.

Vor dem Spiel

Viele alte Bräuche beginnen schon vor dem Spiel. Jeder kennt das Ritual, dass immer derselbe Spieler zuerst die Eisfläche betritt, in vielen Teams ist es auch immer derselbe, der bis zuletzt beim Aufwärmen auf der Fläche bleibt. Es gab schon minutenlange “Duelle” zwischen den jeweils Letzten der beiden Teams, die einsam um das eigene Tor kreisten, die Zamboni scharrte schon mit den Hufen, aber keiner wollte zuerst das Eis verlassen. Legendär das Conference-Finale 1987 zwischen Montreal und Philadelphia. Claude Lemieux von den Canadiens hatte sich angewöhnt, am Ende des Aufwärmens den Puck quer über das Eis ins gegnerische Tor zu schießen. In Spiel Sechs verhinderte der Ersatzgoalie der Flyers dieses Manöver, Lemieux rastete aus, andere Spieler kamen aufs Eis zurück und einer der legendärsten Warm-Up-Brawls in der NHL-Geschichte brach aus. Die Flyers gewannen das Spiel, die Serie und zogen ins Stanley-Cup-Finale ein.

Aber auch noch früher geht es los, in der Kabine. Ausrüstungsgegenstände können heilig sein. Ob der Tiefschutz, das T-Shirt, der Brustschutz, die Socken oder die Unterwäsche; hat ein Spieler einmal den Glauben daran gefunden, dass ihm etwas Glück bringt, dann wird das über Jahre getragen, wenn es zerfetzt und kaputt ist, irgendwie geflickt und repariert, nur damit man mit diesem, seinem Glücksbringer auflaufen kann. Bei Trainern ist es gerne eine Glücks-Krawatte. Ist man über diese Entscheidung hinweg, dann ist der nächste Schritt das Anziehen. Mirko Lüdemann zieht immer erst den rechten Handschuh an, dann den linken. Erst den rechten Schlittschuh, erst die rechten Schoner, etc.. Andere Spieler machen es genau andersherum, wichtig ist nur, dass die eigene, persönliche Reihenfolge eingehalten wird. Dann als erstes raus aus der Kabine, oder doch als Letztes? Wie packe ich meine Tasche, wie tape ich meinen Schläger, wie binde ich meine Schuhe?

Bei sehr abergläubischen Spielern kann das sogar zu handfesten Konflikten führen. Colby Armstrong erzählt gerne eine Anekdote aus seiner Zeit bei den Penguins: Als er versehentlich vor dem Spiel an einen von Sidney Crosby vorbereiteten Schläger stieß, sprang dieser wütend auf und drohte ihm Prügel an. Mannschaftskameraden gingen dazwischen und Crosby tapte seinen Schläger komplett neu. Crosby möchte auch an Spieltagen nicht mit seiner Mutter reden, da er sich nach Telefonaten mehrfach im darauffolgenden Spiel verletzt hatte. Die Ruhe weg dagegen hat Sergej Gonchar. Er trinkt in der Kabine in aller Ruhe einen Kaffee und zieht sich erst exakt vier Minuten vor dem Beginn des Warm-Ups seine Ausrüstung an. Joe Nieuwendyk aß vor jedem Spiel zwei Toasts mit Erdnussbutter, Wayne Gretzky präparierte seine Schläger mit Babypuder. “The Great One” hat aber noch mehr zu bieten. Er ging auswärts nie zum Frisör und trank in jedem Training – in dieser Reihenfolgen – eine Cola light, ein Glas Eiswasser, ein Gatorade und noch eine Cola light, aber erst, nachdem er auf dem Eis war und einen Schuss rechts am Tor vorbei setzte. Karl Alzner aus Washington tippt während der Nationalhymne 88mal mit dem Schläger auf das Eis, andere Spieler starren sich vor Spielbeginn minutenlang selber im Spiegel an.

Der Aberglaube von Kyle McLaren basiert auf einem Scherz seiner Teamkameraden. Dem farbenblinden Spieler der Sharks wurde vor dem Spiel ein gelbes Visier angebracht, aufgrund seiner Sehschwäche bemerkte er dies nicht und wurde hinterher erst aufgeklärt. Er schoss den Siegtreffer, das Visier blieb dran. Dan Briere besitzt drei Schläger, spricht mit ihnen und wenn er ein gutes Spiel gemacht hat, dann gönnt er dem eingesetzten Schläger eine Erholungspause.

Manchmal muss aber auch das Eis präpariert werden. 2002 in Salt Lake City, Olympische Spiele. Zum ersten Mal seit 50 Jahren gewinnen die Kanadier Gold und schreiben dies auch einer kanadischen Dollar-Münze zu, die im Mittelkreis ins Eis eingebracht wurde. Heute nicht mehr möglich ist die Angewohnheit von Stan Mikita, der in den 60er und 70er Jahren bei den Chicago Blackhawks grundsätzlich mit einer Zigarette im Mundwinkel den Weg von der Kabine auf das Eis begann, und diese dann nach Verlassen des Spielertunnels immer über die linke Schulter wegwarf.

Torhüter

Auch beim Trivialsport Fußball heißt es, dass Torhüter und Linksaußen einen an der Klatsche haben. Im DSF-Doppelpass wären jetzt drei Euro fällig, aber im Eishockey nicht. Schauen wir uns lieber einige Torhüter an, die besonders absurde Bräuche pflegen. Da hätten wir Patrick Roy, einen der besten Torhüter aller Zeiten, der zugegeben hat, zu seinen Zeiten in Montreal und Colorado regelmäßig während des Spiels mit den beiden Torpfosten ins Gespräch gekommen zu sein. Pelle Lindbergh von den Flyers glänzte mit dem folgenden Spleen: In jeder Pause musste dem Schweden von einem bestimmten Betreuer genau ein Becher schwedisches Pripps-Bier mit exakt zwei Eiswürfeln gereicht werden. Patrick Roy taucht aber noch ein paar Mal auf. Sein genau festgelegtes Umfahren der Bullykreise, das Steigen über die blaue und rote Linie ohne sie zu berühren, die exakt 60mal (einmal pro Spielminute) mit Tape umwickelten Stöcke und die alle von ihm gesammelten Pucks aus Spielen, in denen er einen Shut-Out erzielte, zählen heute schon zur Legende rund um diesen großen Spieler.

Seltsam mutet auch die Angewohnheit von Glenn Hall an. Der dreifache Gewinner der Vezina Trophy übergab sich vor jedem Spiel in der Kabine, bekannt geworden ist der Brauch als “Cookie Toss”. Ed Belfour dagegen hütete seine Ausrüstung aufs Allerschärfste, anfassen war für andere strengstens verboten. Ron Tugnutt, der auch mit einem genau festgelegten Laufweg das Eis betrat, nahm als Torwart niemals eine Wasserflasche mit aufs Eis und trank so auch keinen Schluck während des Spiels. Bill Randford warf jeden gefangen Puck erst hoch und ließ ihn auf der Rückseite der Fanghand landen. Vorher durfte ihn kein Linienrichter wegnehmen. Jocelyn Thibault schüttete sich exakt sechs Minuten und dreißig Sekunden vor Spielbeginn Wasser über den Kopf.

Play-Offs

Die Play-Offs sind die Hochsaison im Eishockey und damit natürlich die Hochzeit für den Aberglaube. Am deutlichsten zeigt sich das an den Play-Off Bärten, die vor allem in Nordamerika gepflegt und verehrt werden. Nach dem Motto “Wer rasiert, verliert!” wird sich nach Ende der Hauptrunde bis zum Ausscheiden aus den Play-Offs – oder dem ersehnten Titelgewinn – nicht mehr rasiert. Bei den sich über mehreren Wochen hinziehenden Play-Offs können dabei stattliche Bärte entstehen, wie z.B. Scott Niedermayer aus Anaheim gerne demonstriert. In Europa ist diese Tradition vor allem bei den nordamerikanischen Spielern verbreitet, manch Einheimischer zieht da nicht mit, stattdessen gibt es Glatzen, Irokesen oder gemeinschaftlich blond gefärbte Haare für die Spiele um die Meisterschaft. Woher kommt die Tradition? Keiner weiß es so genau, manche sagen aus den 30er, manche aus den 70ern, aber viele Quellen schreiben es den New York Islanders in den 80er Jahren zu, die beschlossen, sich während der Play-Offs nicht mehr zu rasieren, prompt Erfolg hatten und damit viele Nacheiferer auf den Plan riefen. Inzwischen ist es ligaweit üblich und auch viele Fans machen bei dieser Tradition mit.

Doch die Play-Offs sind nicht nur Bärte. Landet man einen Auswärtssieg, dann fährt man exakt dieselbe Strecke beim nächsten Mal wieder, isst im gleichen Restaurant das gleiche Essen, wählt im Hotel die gleiche Zimmerbelegung und versucht so auch die nächsten Spiele der Serie zu gewinnen. Nach einem Spiel, dass die Serie nicht entscheidet, gibt es keine Sportgruß, die Mannschaft kommt nicht nochmal raus, um sich feiern zu lassen und Pokale, die man zwischendurch gewinnt – wie die Conference-Titel in der NHL – werden aus gebührendem Abstand entgegen genommen und keinesfalls berührt. Doch Aberglaube wäre nicht Aberglaube, wenn er nicht durchbrochen würde. Die Pittsburgh Penguins entschlossen sich im Vorjahr gegen jede Tradition, verbunden mit einem Aufschrei der Fans, die Prince-of-Wales Trophy auch zu berühren. Sie holten dann auch den Stanley Cup. Jim Dowd rasierte sich nach jeder Niederlage in den Play-Offs, um den Fluch zu durchbrechen. Er gewann einmal den Cup. Und die New York Rangers schließlich verzichteten 1994 ganz auf Bärte, da man keine Tradition des Lokalrivalen aus Uniondale kopieren wollte. Die Rangers holten den Stanley-Cup.

Berühmt ist der Aberglaube der Fans in Detroit. Bei den Red Wings verehrt man den Tintenfisch. Seitdem im Jahre 1952 zwei Fischhändler aus Detroit einen lebenden Oktopus auf die Eisfläche warfen, um mit den acht Armen zu demonstrieren, dass man acht Siege braucht, um den Cup zu holen, und die Red Wings den Cup dann auch wirklich holten, fliegen in regelmäßigen Abständen während der Play-Offs lebende und tote Tintenfische in der Joe Louis Arena. Auch wenn das der Stimmung gut tut und der Eismeister die Fans immer anheizt, indem er die Tintenfische beim Aufsammeln über dem Kopf kreisen lässt, ist der Brauch der Liga ein Dorn im Auge und man hat mehrfach versucht ihn zu verbieten und das Werfen zu unterbinden. Doch Eishockeyfans sind erfinderisch, da wird der Tintenfisch dann platt gedrückt unterm Trikot in die Halle geschmuggelt. Wie aber im Jahre 1995 ein 17 Kilo schwerer Tintenfisch den Weg in die Halle und aufs Eis gefunden hat, bleibt bis heute eine Legende.

Inspiriert durch diesen Brauch gab es verschiedene Versuche, in anderen Stadien ähnliche Rituale einzuführen. In Boston flog ein Hummer für die Region Neu-England, in Florida Spielzeug-Ratten, in Nashville Welse, in San Jose ein Leopardenhai und in Edmonton Steaks. Doch nichts setzte sich durch, der Tintenfisch aus Detroit bleibt einzigartig. Während der letztjährigen Serie gegen Pittsburgh, achteten Pittsburgher Fischhändler mit Ausweiskontrollen darauf, dass nur ja kein Tintenfisch an eine Person aus Michigan verkauft wurde.

Doch “Al the Octopus” findet immer einen Weg. Und sind wir doch ehrlich, ohne alle diese Rituale, Bräuche und Spinnereien, wäre Eishockey nicht so spannend und so besonders, wie es diese einzigartige Sportart für uns alle ist. Kennst Du noch mehr Rituale oder was findest Du besonders bemerkenswert? Lass es uns in den Kommentaren wissen.


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7 Kommentare »

  • Milan said:

    Also ich vermisse ja irgendwie die Story um “Towel Power” aus Vancouver… ;-)

  • Husky said:

    Klasse Artikel, wirklich interessant und kurzweilig :)

  • Scorpion said:

    Fiel mir gestern im Spiel der Scorpions gegen Nürnberg auf. Dürfte ja auch in der DEL mitlerweile bekannt sein. Jimmy Waites klopfen gegen den Pfosten, in dem Fall war es vor einem Bully. Das Anspiel verzögerte sich allerdings, sodass er aus seiner Postion ein weiteres mal zurück fuhr um wiederrum glaube ich 2-3 mal den Pfosten mit dem Schläger zu klopfen.

  • Scorpion said:

    Kurze Verbesserung: Ist glaube ich nur die Stockhand die er dagegen klopft…

  • Tobias said:

    Die Ratten in Florida haben aber einen Grund und sind keine Nachmache des Oktopus.

    In den POs damals erschlug Scott Mellanby in der Kabine eine Ratte und scorte danach doppelt. Goalie Vanbiesbrouck nannte es “Rat trick” und somit nahmen die Ratten ihren Weg aufs Eis!

  • Matthias Häger (author) said:

    Hallo Tobias,

    da hast Du sicher Recht, dass die aufgezählten Bräuche keine reinen Kopien des Oktopus sind, sondern immer auch eine lokale Verbindung haben. Aber ich halte das in dem Zusammenhang für eine zulässige Verkürzung. Über den “Rat Trick” steht auch etwas in einem anderen Artikel:

    Ich ziehe meinen Hut

  • Marten Schumacher said:

    Legend…..dary!!! Sehr guter Beitrag und genau das richtige neben der BA

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