Ich ziehe meinen Hut!

10 März 2010 Text: Matthias Häger
Foto: somegeekintn / flickr.com

Regel 63 “Delaying the Game” wirkt auf den ersten Blick ganz sinnvoll, doch der letzte Satz in Abschnitt 63.4 zeugt von einer besonderen nordamerikanischen Tradition, die es sogar ins offizielle NHL-Regelbuch geschafft hat:

Articles thrown onto the ice following a special occasion (i.e. hat trick)
will not result in a bench minor penalty being assessed.

Normalerweise gibt es beim Werfen von Gegenständen durch die Zuschauer eine Bankstrafe für das Heimteam, eine Regel, die auch in Deutschland sinnvoll sein könnte, aber hier nicht funktionieren würde, da es im Gegensatz zur NHL meist reichlich Auswärtsfans gibt. Der obige Satz schließt aber für besondere Ereignisse eine Bankstrafe aus, ein solches Ereignis ist ein Hattrick.

Guelph oder Toronto?

Erzielt ein Spieler in einem Spiel drei Tore, muss nicht am Stück oder in einem Drittel sein, dann rastet das amerikanische Publikum aus und bepflastert die Eisfläche mit mehr oder weniger vielen Hüten und Kappen. Diese Tradition, Hattricks und deren Eintreffen mit einem Werfen der “Hats” zu honorieren, hat wie üblich ehrbare und sehr alte Wurzeln, die alle etwas verschwommen sind. Die einfachste und vermutlich logischste Lösung wäre die, dass der Hattrick aus dem Cricket übernommen wurde, denn dort war der Begriff schon seit 1858 festgeschrieben und fand auch seinen Weg in das renommierte Oxford Dictionary. Stattdessen konkurrieren aber zwei andere Geschichten um die Herkunft des Brauchs. Die eine erzählt von der Firma “Biltmore Hats” aus Guelph, Ontario, Kanada. Deren General Manager Norm McMillian sponserte nicht nur das örtlich Hockeyteam Guelph Biltmore Mad Hatters, sondern zollte auch den Spielern Respekt, die drei Tore in einem Spiel erzielten, indem er ihnen einen Fedora-Hut seiner Firma überreichte. Datiert sind diese Aktionen auf die späten 40er Jahre. Die konkurrierende Geschichte spielt ein wenig früher und hat mit dem Hutverkäufer Sammy Taft aus Toronto zu tun. Am Tag des Spiels der Blackhawks aus Chicago gegen die Maples Leafs am 26. Januar 1946 kam Blackhawks-Stürmer Alex Kaleta zu Taft in den Laden, konnte sich aber keinen Hut leisten. Taft bot ihm an: “Du schießt drei Tore und erhältst einen Hut.” Kaleta willigte ein und traf sogar viermal beim Sieg seiner Blackhawks. Der Hut war ihm sicher und auch der Eintrag “first hat trick with a hat” in “Hockey’s Book of Firsts” und in der Hockey Hall of Fame. Manche Quellen reden sogar davon, dass Taft bereits in den 30er Jahren mit diesen Aktionen anfing, Beweise gibt es nicht. Der clevere Händler konnte sich über eine gute Werbung für seine Geschäft und einen Eintrag in der Hall of Fame freuen. In Guelph glaubt diese Geschichte natürlich keiner.

Kuriose Varianten

In den folgenden Jahrzehnten etablierte sich der Begriff Hattrick für die Leistung, drei Tore in einem Spiel zu erzielen. Gelegentlich findet sich noch der Ausdruck “Natural Hattrick”, wenn die drei Tore hintereinander und in einem Drittel erzielt wurden. Über die Jahre wurden verschiedene Varianten eines Hattricks geschaffen. Am bekanntesten ist der nach der NHL-Legende benannte “Gordie Howe-Hattrick”, der einem Spieler dann zugesprochen wird, wenn er in einem Spiel ein Tor, eine Vorlage und eine große Strafe wegen einer Rauferei erzielt. Gordie Howe gelang das Kunststück selber zweimal, Spitzenreiter in der NHL ist Brendan Shanahan mit siebzehn Gordie Howe-Hattricks. Offiziell werden Statistiken darüber aber nur in San Jose, Calgary, Nashville, Edmonton, Pittsburgh und Ottawa geführt. Besonders geehrt wurde Mario Lemieux. Zum einen ist die Legende aus Pittsburgh bisher einzig bekannter Vollstrecker eines Five-Goal oder Ultimate-Hattrick, als er am 31.12.1988 gegen die Devils auf alle fünf denkbaren Arten in einem Spiel ein Tor erzielte (5-gegen-5, Powerplay, Unterzahl, Penaltyschuss und Empty Net). Etwas makaber wirkt dagegen der nach ihm benannte Mario-Lemieux Hattrick, den er 1993 gegen die Philadelphia Flyers erzielte: Strahlentherapie gegen seine Krebserkrankung plus Tor und Assist an einem Tag.  Erfreulicher war der Legwand Hattrick für David Legwand, der 2009 am selben Tag das Tor traf, ein Tor vorbereitete und Vater wurde. Bleiben noch zwei tierische Ereignisse: Der Rat-Trick von Scott Mellanby im Dezember 1995 (Zwei Tore plus eine Ratte in der Umkleide mit dem Schläger erledigt) und der Bat-Trick von Christopher Grane im Dezember 2009 in der USHL (2 Tore und eine Fledermaus mit dem Schläger im Flug erwischt).

Bevor wir zum aktuellen Brauch kommen, noch ein kurzer Blick in die Statistik: Die meisten Hattricks in der Geschichte der NHL hat – natürlich – “The Great One” erzielt. Wayne Gretzky kommt in seiner Karriere auf fünfzig Hattricks, davon zehn Stück in der Saison 81/82 und nochmal zehn in der Saison 82/83. Den schnellsten Hattrick in der NHL darf sich dagegen Bill Mosienko zuschreiben. Der kanadische Stürmer erzielte am 23. März 1952 gegen die New York Rangers drei Tore in unglaublichen 21 Sekunden. Zurück zur Tradition. Irgendwann in den 70er Jahren, genau weiß man es wohl nicht, erinnerten sich die Fans in der NHL auf die Verbindung zwischen Hüten und dem Hattrick und begannen nach Hattricks ihres Teams ihre Kappen auf das Eis zu werfen. Die Aktion verbreitete sich schnell über alle Stadien der Liga und fand nach kurzer Zeit in eingangs genannter Form sogar Einzug in das Regelwerk. Waren es am Anfang wenige Kappen und die Aktionen eher spontaner, so gehen heutzutage viele Fans schon gut vorbereitet mit einer zusätzlichen alten Kappe ins Stadion. Bei Toren von Superstars wie Sidney Crosby oder Alex Ovechkin können dann auch mehrere hundert Kappen aufs Eis fliegen.

Vom Eis in den Müll?

Doch was passiert mit den Kappen, nachdem sie von hübschen Cheerleadern (TOP) oder missmutigen Eismeistern (FLOP) in Säcken und Plastikeimern vom Eis getragen wurden? Früher wurden die Kappen oft in den Müll gegeben oder gammelten in einem dunklen Arenakeller vor sich hin, doch seit einigen Jahren hat sich bei den meisten NHL-Teams das folgende Vorgehen eingebürgert: Der Spieler, der den Hattrick erzielt hat, hat ein Vorrecht, darf sich theoretisch alle Kappen mitnehmen, nimmt sich in der Regel aber nur einige wenige und entscheidet dann darüber, für welchen guten Zweck die Kappen gespendet werden. Eine Durchsicht aller Kappen findet schon statt, alte und kaputte Kappen werden entsorgt, aber alle noch brauchbaren Kappen werden dann an Kinder- und Obdachlosenheime oder andere lokale Wohltätigkeitsorganisationen weitergegeben. Die Aussortierung verschmutzter Kappen muss schon aus Gründen der Gesundheit erfolgen. Einen besonderen Weg gehen die Columbus Blue Jackets, die alle eingesammelten Kappen in einem großen Behälter in der Arena präsentieren. Auch das Western Pennsylvania Sports Museum in Pittsburgh stellt eine Sammlung an geworfenen Kappen aus. Ähnliche Planungen zur Präsentation der Kappen gibt es bei den Washington Capitals – möglicherweise begründet sich hier ein neuer Trend?


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