Es gehören halt doch immer zwei dazu…
Kurz nach Beendigung des olympischen Eishockey-Turniers hat sich in Deutschland eine breite Fanmasse organisiert um gegen die zunehmende Verweichlichung unseres Sports zu demonstrieren.
Wir wurden bei den Olympischen Spielen aber auch verwöhnt – krachende Checks und heftige Open-Ice-Hits am laufenden Band – Dinge die wir früher auch in unseren Eisstadien zu sehen bekamen und schätzen gelernt hatten. Vor kurzem meldeten sich nun auch die betroffenen Schiedsrichter zu Wort und nahmen zu den Vorwürfen Stellung. Wie die Fans, so sehen sich auch die Schiedsrichter im Recht und verweisen vehement auf die in Deutschland geltenden Regeln der IIHF, nach welchen sie pfeifen würden.
Aber: Immer wenn es Ärger gibt fällt eines auf, es gehören zwei Parteien dazu. Die eine Seite die anfängt, eine andere die mitmacht – das war im Sandkasten so, hat sich zu Schulzeiten nicht geändert und wie man sieht, läuft es auch im späteren Leben wieder so ab. Auf der einen Seite die Fans, die der Meinung sind, man hätte ihren Sport kastriert, auf der anderen Seite führen die Schiedsrichter an, dass die Spieler meist gar nicht mehr in der Lage sind korrekt auf den Körper zu spielen. Beiden Seiten würde es vielleicht nicht schaden den ein oder anderen eigenen Fehler zuzugeben – teils mangelnde Regelkenntnis auf der einen und fehlender Mut, eine falsche Entscheidung zuzugeben auf der anderen Seite. Wie sagt man oft so schön: “Treff ma uns in der mitten”.
In Anbetracht der aktuellen Diskussionen haben wir uns mit Felix Winnekens, Linienrichter in der DEL, getroffen und mit ihm über die Vorwürfe gesprochen.
STARTING6: Hallo Felix. Kommen wir direkt zum Thema. In der Stellungnahme des DEB-Schiedsrichterausschusses heisst es, dass ihr immer wieder geschult und sensibilisiert werdet, speziell wenn es um das Körperspiel geht. Wie kann man sich das vorstellen?
Felix Winnekens: “Wir haben pro Jahr mindestens zwei Lehrgänge, einen zu Beginn der Saison in Füssen und einen weiteren Zwischenlehrgang der regional aufgeteilt ist. Während dieser Lehrgänge ist das Körperspiel immer wieder ein großes Thema. Sensibilisiert heisst in diesem Fall vor allem, dass wir uns Videomaterial aus verschiedenen Ligen ansehen – auch von internationalen Turnieren – diese werden dann gemeinsam analysiert. Hier wird auch immer ganz klar gesagt, was fair- und was eben nicht mehr regelkonform ist, und in welcher Situation es was für eine Strafe geben muss. Gerade diese Schulungen helfen uns ungemein, während der Spiele schneller die richtige Entscheidung zu treffen.”
STARTING6: Und diese Schulungen gelten für alle Schiedsrichter gleichermaßen, ob DEL, 2. Liga oder Oberliga?
Felix Winnekens: “Ja, die Sommerlehrgänge sind zwar grob nach Ligen unterteilt, es werden aber exakt die gleichen Inhalte geschult. Alle Schiedsrichter, von der Schüler-Bundesliga bis zur DEL, haben den gleichen Ausbildungs- und Informationsstand.”
STARTING6: Wie entscheidet sich dann wer die Lizenz für die entsprechende Liga bekommt?
Felix Winnekens: “Zum einen sind das die Fitness- und Leistungstests des Sommerlehrgangs, zum anderen werden die Leistungen und Beobachtungen der vergangenen Saison in Betracht gezogen. Ein weiterer Bewertungspunkt ist die Persönlichkeit des Schiedsrichters. Alle Punkte zusammen führen dann zu einem Gesamtbild – anhand dessen entscheidet sich wer welche Lizenz bekommt.”
STARTING6: Jetzt mal ganz unter uns. Hast du dir als Linienrichter schon mal während eines Spiels gedacht: “Also das könnte ich echt besser als der Hauptschiedsrichter”?
Felix Winnekens: (lacht) “Ich würde vielleicht nicht gerade sagen, dass ich das besser könnte, es ist aber durchaus so, dass man gewisse Dinge anders beurteilt. Dies kann natürlich an vielen Dingen liegen. Alleine die Position aus der man eine Situation sieht, kann einen schon zu einer ganz anderen Beurteilung der Situation verleiten. Wir reden in der Kabine aber auch sehr offen über getroffene Entscheidungen und müssen dann, nach Videoanalyse, der einen oder anderen Seite recht geben.”
STARTING6: Du warst ja vor kurzem bei den Olympischen Spielen im Einsatz und durftest dort Spiele auf absoluten Weltniveau pfeifen. Ist der Unterschied, speziell im Körperspiel, wirklich so enorm zur DEL wie immer wieder gesagt wird?
Felix Winnekens: “Naja, so einfach kann man da keinen Vergleich ziehen. Man vergleicht ja die Fußball-Bundesliga auch nicht mit den Weltmeisterschaften. Natürlich waren die Spiele in Vancouver auf einem unglaublich hohen Niveau, immerhin ist dort die Crème de la Crème aufeinander getroffen. Das Tempo und die Intensität der Spiele war wirklich beeindruckend hoch, das haben sogar die NHL-Schiedsrichter des Öfteren betont.”
STARTING6: Auch wenn das Niveau ein deutlich Höheres ist, Körperspiel bleibt immer noch Körperspiel, wo liegt also deiner Meinung nach das Problem?
Felix Winnekens: “Ich denke es liegt daran, dass die Spieler eine andere Spielweise gewöhnt sind. Gerade bei den amerikanischen und kanadischen Teams ist mir aufgefallen, dass wirklich jeder Check zu Ende gefahren wurde. Die Spieler, die gecheckt worden sind, waren auf diese Checks aber auch immer vorbereitet, dadurch vermeidet man dann auch Verletzungen. Eine Spielweise wie sie von diesen beiden Mannschaften praktiziert wurde, sieht man in der DEL kaum. Außer in den Play-Offs vielleicht.”
STARTING6: Aber gerade das “nicht vorbereitet sein”, kann es daran liegen das die letzten Jahren immer kleinlicher gepfiffen wurde und die Spieler so umgewöhnt worden sind? Viele Verteidiger nehmen die Zweikämpfe mit einem Stürmer in der Ecke ja kaum noch an…
Felix Winnekens: “Die Regeln, was das Körperspiel anbelangt, wurden in den letzten Jahren eigentlich nicht verschärft. Es ist richtig, dass Checks gegen den Kopf- und Nackenbereich, sowie Checks von Hinten seit ein paar Jahren laut Regelbuch härter bestraft werden. Das sind aber auch wirklich gefährliche Aktionen, die mit hartem Körperspiel nichts zu tun haben. Die einzig wirkliche Regelverschärfung, wenn man das so nennen will, fand bei Haken, Halten und Behinderung statt. Dies dürfte eigentlich keine Auswirkung auf das Körperspiel haben. Das fehlende Körperspiel ist vielleicht auch eine Art Mentalitätssache. Wenn man sich die osteuropäischen und skandinavischen Mannschaften anschaut, dann sind diese auch nicht für harte Checks bekannt. Das konnte man auch bei Olympia sehr schön beobachten.
Wenn man sich Spiele in Nordamerika ansieht, dann finde ich es immer wieder faszinierend, wie Checks bejubelt werden, selbst wenn es den eigenen Spieler betrifft. So etwas gibt es in Deutschland nicht, im Gegenteil, hier pfeifen die Fans sehr schnell, selbst wenn der eigene Spieler nur einen harmlosen Schubser abbekommt.”
STARTING6: Trotz allem muss die Frustration der Fans ja irgendwo herkommen, ausdenken tun die sich das ja nicht. Was denkst du an was das liegt?
Felix Winnekens: “Prinzipiell kann ich die Frustration der Fans verstehen. Es ist ja nicht zu leugnen, dass in Deutschland weniger Checks oder Prügeleien zu sehen sind als in anderen Ligen. Meiner Ansicht nach darf man aber die Schuld nicht immer bei den Schiedsrichtern suchen. Ich will keineswegs bestreiten, dass wir Fehler machen oder in manchen Situationen überreagieren, aber das ist nicht der Grund, weshalb sich die Kultur des Sports geändert hat.
Nehmen wir hier einmal das Beispiel Schlägereien: In der NHL haben die Mannschaften meist einen sog. “Goon” – der erledigt das “Grobe”. Das gibt es in der DEL nicht – hier verhalten sich die Spieler oft einfach nicht korrekt. Erst vor kurzem hatte ich ein Spiel bei dem zwei Spieler “Telefonnummern austauschen” wollten. Soweit, so gut. Wir hätten dies auch laufen lassen, nur dann stürmten sofort andere Spieler herbei und wollten ebenfalls mitmischen. Das hat dann nichts mehr mit einem fairen Kampf zu tun – die Verletzungsgefahren sind hier einfach zu groß.”
STARTING6: Wie lässt sich jetzt erklären, dass es so eklatante Unterschiede zwischen den Schiedsrichtern und ihrer Art zu pfeifen gibt?
Felix Winnekens: “Ich denke das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir sind halt auch alle “nur Menschen”. (lacht beim Blick auf das STARTING6 Phrasenschwein) Es ist aber wirklich die einzige Erklärung, die ich habe. Das Spiel ist mittlerweile so schnell geworden, dass man manchmal einfach eine ungünstige Perspektive hat, um Situationen richtig zu beurteilen. Ich kann nur sagen, es wird größtmöglicher Aufwand betrieben, um alle Schiedsrichter ins gleiche Boot zu holen. Ich denke, dass ist einer der wichtigsten Punkte, da zu unterschiedliche Auslegung natürlich zu Irritation und verständlicher Frustration führen kann. Videobeispiele sind dafür enorm wichtig. Es gibt Videomaterial vom Weltverband IIHF, es gibt Beispiele vom DEB und wir haben inzwischen eine eigene Online-Plattform auf der wir Videobeispiele einstellen und gemeinsam analysieren können.
Perspektivisch wichtig ist, dass Vier-Mann-System so oft wie möglich zu nutzen. Dieses System bietet uns wirklich die Möglichkeit, fast immer einen guten Blick auf das Geschehen zu haben und Fehler werden so natürlich minimiert.”
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Klasse Beitrag. Auch mal Interessant die andere Seite zu hören.
Macht weiter so.
Schade dass der Linienrichter nicht auf die Frage eingegangen ist, weshalb Icing teils willkürlich gepfiffen oder eben nicht gepfiffen wird.
Ok, dann will ich versuchen auf die Icing-Frage noch einmal näher einzugehen. Es gibt ein paar Kriterien die dazu führen können, dass ein Icing “ausgewunken” wird. Vieles ist dabei Auslegungssache was vielleicht dazu führt, dass es als “willkürlich” erscheint. Wenn zum Spiel der Puck in unseren Augen nur langsam über das Eis geht, so dass wir der Meinung sind ein Veteidiger könnte ihn noch erreichen, wenn er mit voller Kraft läuft, dann müssen wir auswinken. Weiterhin ist es so, dass wenn ein Verteidiger den Stürmer irgendwie daran hindert den Puck anzunehmen oder zum Puck zu gelangen und es daher zum Icing kommen würde, dann müssen wir auswinken.
Generell kann man sagen, dass immer wenn wir der Meinung sind, dass ein Verteidiger nicht alles unternimmt den Puck zu spielen und es deshalb zum Icing kommen würde, dann müssen wir auswinken. Wie gesagt, dabei gibt es halt auch viel Auslegungsspielraum…
Ich hoffe diese Antwort macht es ein bisschen klarer!
Sehr geehrter Herr Winnekens,
vielen Dank für dieses Interview. Schiedsrichter sind doch die Prügelknaben der Sportwelt. Man kann es nie allen Recht machen. Aber das ist nunmal euer Los und ich beneide jeden, der es bereit ist, freiwillig zu erfüllen. Ich bin bestimmt auch kein Waisenknabe, wenn man im Stadion ist und auf “euch blinde Schiris” meckert.
Aber das alles passiert im Eifer des Gefechts und hinterher stellt man immer öfters fest: “Eigentlich hat er gut gepfiffen!”
Ich bin begeistert von der Offenheit ihrerseits bei diesem Interview und würde mir wünschen, dass es sowas viel öfters geben würde. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei den Einsätzen in den Playoffs.
MfG
Ja, die Aussage macht schon deutlich wo das eigentliche Problem liegt. Überall wo ein Schieds- oder Linienrichter Ermessensspielraum hat, kommt es zwangsläufig irgendwann zu verschiedenen Meinungen. Meiner Meinung nach gehört diese Regel mit dem im Interview angesprochenen Touch-Icing reformiert. Überspitzt gesagt haben Schiedsrichter mit jeder Art von Ermessensspielraum die Möglichkeit eine Mannschaft zu bevor- oder zu benachteiligen, ohne objektiv falsch zu pfeifen. So werden die Schiedsrichter nie aus der Schußlinie kommen. Dieses Problem betrifft aber nicht nur das Eishockey. Im Handballsport beispielsweise wird auch sehr intensiv über den Ermessensspielraum der Schiedsrichter bei angezeigtem Zeitspiel diskutiert. Während ein Schiedsrichter bei angezeigtem Zeitspiel nach dem spätestens zweiten weiteren Pass abpfeift, kann der nächste Schiedsrichter die Regel “sofort zum Abschluss kommen” auch mal so auslegen, dass noch eine weitere Minute gepasst wird. Ermessensspielräume helfen meiner Meinung nach niemandem.
Ich bin ja der Meinung, dass nicht die Schiedsrichter an sich der Hauptbuhmann der Fans sind, sondern die Auslegungsvorgaben und Regelergänzungen der DEL. 5+SD mit automatischer Spielsperre riskieren nur die wenigsten Profis und daher sind faire Fights in der DEL praktisch nicht existent. Die eigentlich angedachten 2+2+10 kommen viel zu selten zum tragen. Zum Thema “einmischen”, das muss natürlich unterbunden werden und würde auch unterbleiben, wenn es ähnlich des “verlassens der Spielerbank und einmischen” geahndet würde.
Zum Thema Checks ist zu sagen, dass hier Herr Winnekens recht hat, wenn er sagt, dass viele Spieler nicht vorbereitet sind oder auch absichtlich in eine Position gehen in der sie von einem Check spektakulär getroffen werden. Jedoch wird leider in der DEL viel zu oft das Resultat anstelle des Vergehens geahndet. Ein sauberer Check bleibt sauber, auch wenn der Gecheckte danach 10 Minuten nicht mehr gerade aus schauen kann. Ich verweise auf das aktuelle NHL Lehrvideo zum Thema Check gegen den Kopf. Jeder der hier gezeigten Checks (legal wie illegal) wäre in der DEL mindestens eine SD wenn nicht MS. Das kann nicht sein und DAS stört die Fans.
Interessant sind die Aussagen zur neuen NHL Regel. Schutz der Spieler OHNE DIE PHYSISCHE SEITE DES SPIELS ZU BESCHNEIDEN. Der letzte Teil wird in Deutschland leider vergessen.
Klasse Interview, bitte mehr davon und später vielleicht in einer eigenen Rubrik versammelt.
Erinnert mich an diesen schon etwas älteren post von einem Kanadier, der sich ein DEL-Spiel angeschaut an:
(Link)
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